Was Optionsscheine sind und warum wir sie rollen müssen

von Stefan Lehne

Optionsscheine sind der kleine Bruder von Optionen. Optionen sind für Kleinanleger meiner Meinung nach nicht gut geeignet: Erstens bietet nicht jeder Broker Zugang zu den Terminbörsen, an denen Optionen gehandelt werden. Vor allem aber kann man Optionen selten für Beträge wie 1.000 Euro oder gar 500 Euro kaufen, wie sie Kleinanleger gerne in Hebelinstrumente investieren. Hierfür brauchen Sie je nach Ausgestaltung der Option oft sehr viel mehr Kapital.

Bei einer Option oder einem Optionsschein verbrieft Ihnen der sogenannte Stillhalter das Recht, eine Aktie zu einem festgelegten späteren Zeitpunkt für einen gewissen Betrag von ihm zu kaufen. Nehmen wir einen Optionsschein, der eine Basis von 180 US-Dollar hat und am 19.6.2025 verfällt. Würden Sie den Schein bis zu diesem Termin halten und der Basiswert wäre dann 200 US-Dollar wert, dann würden Sie 20 US-Dollar gutgeschrieben bekommen. Denn abgerechnet wird bei Optionsscheinen nur die Differenz. Im Gegensatz zu Optionen haben Sie kein Anrecht darauf, dass Ihnen die Aktie zu diesem Preis ausgeliefert wird. Diese Differenz errechnet sich so, als ob Sie die Aktie am Verfallstag im Dezember 2018 für 180 Euro vom Stillhalter kaufen (Ihr verbrieftes Recht) und sofort zum dann aktuellen Kurs von 200 US-Dollar am freien Markt wieder verkaufen.

Optionen beziehen sich auf 100 Aktien, Optionsscheine meistens auf 0,1 Aktien

Optionen werden grundsätzlich in einer Kontraktgröße von 100 Aktien gehandelt. Optionsscheine haben dagegen oft ein Bezugsverhältnis von weniger als 1. Für Aktien mit mittlerem Preisniveau ist ein Bezugsverhältnis von 0,1 sehr üblich. Dadurch kostet ein einzelner Optionsschein sehr wenig und ist für Kleinanleger die beste Wahl. Die meisten Optionsscheine haben ein Bezugsverhältnis von 0,1. Das heißt, Sie haben im obigen Beispiel das Recht, eine Zehntel-Aktie für 180 US-Dollar zu kaufen und bekommen dann pro Schein nicht 20 US-Dollar, sondern nur 2 US-Dollar (umgerechnet in Euro) gutgeschrieben. Übrigens: Schließt der Basiswert am Verfallstag bei 180 US-Dollar oder darunter, verfällt Ihr Schein wertlos.

Stillhalter von Optionen kann jedermann werden – auch Sie selbst, wenn Sie Zugang zu den Terminbörsen haben. Sie bekommen vom Käufer dann die Prämie gutgeschrieben, die die Option kostet und tragen im Gegenzug das Risiko, bei steigenden Kursen die genannte Differenz zahlen zu müssen. Bei Optionsscheinen ist ihr Handelspartner der Emittent, also die ausgebende Bank. Sie trägt das Risiko aus dem Geschäft in der Regel nicht selbst, sondern sichert sich im Hintergrund ab. Emittenten wollen nicht als Ihr Gegenspieler auftreten, sondern nur eine Marge erzielen. Der Emittent fasst dann mehrere Optionsscheinkäufe von Kleinanlegern zu einer großen Option zusammen, die er am Terminmarkt kauft. Diese Vorgänge sind für uns aber nicht von Bedeutung.

Der Stillhalter eines Optionsscheins lässt sich sein Risiko bezahlen

Ein Stillhalter geht theoretisch ein unbegrenztes Risiko ein: Steht die Aktie aus dem obigen Beispiel am Verfallstag nicht bei 200 US-Dollar, sondern bei 500 US-Dollar, bekommen Sie für einen Optionsschein mit einer Basis von 190 US-Dollar nicht 2 US-Dollar pro Schein, sondern satte 32 US-Dollar gutgeschrieben ((500-180)*0,1).

Dieses unlimitierte Risiko lassen sich die Stillhalter schon beim Kauf des Scheins von Ihnen bezahlen. Selbst wenn der Kurs beim Kauf des Optionsscheins noch in der Nähe des Basispreises steht, zahlen Sie den Zeitwert.

Die Höhe des Risikos bestimmt den Zeitwert des Optionsscheins. Je näher der Verfallstag rückt, desto besser kann der Stillhalter bestimmen, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Schein verfällt oder wie weit er wohl ins Geld läuft. Deshalb sinkt die Risikoprämie, wenn der Verfallstag näher rückt. Das ist der Zeitwertverlust. Er bewirkt, dass ein klassischer Optionsschein immer weniger wert wird, wenn der Basiswert sich im Kurs nicht bewegt.

Neben der Restlaufzeit bestimmt sich der Zeitwert durch die Volatilität des Basiswerts. Bei einem schwankungsfreudigen Wert lässt sich die Entwicklung schwerer abschätzen: die Risikoprämie steigt.

Rollen von Optionsscheinen

In den letzten 3-6 Monaten vor dem Verfallstag beschleunigt sich dieser Zeitwertverlust. Mit einer immer höheren Geschwindigkeit wird der Schein weniger wert, wenn der Basiswert auf der Stelle tritt oder gar sinkt. Für uns steigt dann das Risiko der Position rapide an. Deshalb behalte ich Scheine in meinem Börsenbrief nie bis zum Verfallstag, sondern verkaufe spätestens im letzten halben Jahr den alten Optionsschein und kaufe einen neuen Schein mit angepasster Basis und neuer Laufzeit, wenn es vorher keinen Verkaufsgrund gibt. Das nennt man dann „Rollen“.

Übrigens: Ein klassischer Optionsschein hat kein Knock-Out-Level! Theoretisch kann die Aktie aus dem obigen Beispiel während der Laufzeit auf 10 US-Dollar sinken und dann wieder auf 200 US-Dollar steigen. Auch dann bekommen wir die 2 US-Dollar pro Schein gutgeschrieben.

Knock-Out-Optionsscheine empfehle ich nur in Ausnahmefällen, z. B., wenn bei einem sehr volatilen Wert die Risikoprämie zu hoch ist oder wenn es für den gewünschten Basiswert keine klassischen Optionsscheine gibt. Knock Outs sind ein völlig anderes Konstrukt als klassische Optionsscheine und haben keinen nennenswerten Zeitwertverlust. Dafür besteht bei dieser Art von Optionsscheinen ein erhöhtes Totalverlustrisiko, weil sie beim Erreichen einer bestimmten Kursschwelle sofort verfallen und ganz oder fast ohne Restwert abgerechnet werden.

Fazit Optionsscheine rollen

Im Preis eines Optionsscheins ist immer ein Zeitwert mit eingerechnet. Dieser sinkt, wenn der Verfallstag näher rückt, auch wenn der Basiswert nicht fällt, sondern seitwärts läuft. Wir reden vom Zeitwertverlust. In den letzten 3-6 Monaten vor dem Verfallstag beschleunigt sich dieser Zeitwertverlust rapide. Deswegen rollen wir den Schein spätestens dann in einen neuen Schein mit angepasster Basis und Laufzeit oder wir nehmen den Gewinn mit.

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